Ein InKinosion-Gespräch mit Bettina Jahnke über Psychosen am Beispiel des Films „Rose – Eine unvergessliche Reise nach Paris“

Am 25. April stand bei InKinosion im Anschluss an die Filmvorführung Diplom-Journalistin Bettina Jahnke für ein Filmgespräch und Fragen zum Thema Psychose bzw. Schizophrenie zur Verfügung. Bettina Jahnke ist eine erfahrene Expertin für Psychose und Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Als EX-IN Genesungsbegleiterin und EX-IN Trainerin bei der Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft Viersen gGmbH bietet sie zusammen mit ihrem Team Einzelfallberatung und Kursangebote für Betroffene an. Das Gespräch führte Dirk Kampmeier. Man einigte sich auf „Du“.

Dirk:
Der Film führt uns zurück in das Jahr 1997. Er ist angelehnt an die Geschichte des Regisseurs Niels Arden Oplev, dessen Schwester an Schizophrenie erkrankt ist und eine ähnliche Biografie hat. Was fällt Dir zum Film ein, sprich wie realistisch findest du ihn?

Bettina:
Mich hat der Film überzeugt. Er zeigt, wie vielschichtig die Schizophrenie ist.

Dirk:
Wie hast du das Gangbild, die starre Mimik und die knappen Antworten von der Hauptperson Inger empfunden?

Bettina:
In Krisensituationen sehe ich mich genauso. Ich fahre dann die Kommunikation herunter, um mich bzw. meine Psyche zu entlasten.

Dirk:
Was sagst du zur Rolle der Angehörigen, sprich der Schwester und der Mutter von Inger?

Bettina:
Die Darstellung traf die Komplexität des Umfeldes sehr gut. Jeder reagiert anders auf einen schizophrenen Angehörigen und gelangt mal schneller und mal später an seine Grenzen. Ich beschreibe Schizophrenie gerne als „Trauma-Verarbeitung in der Realität“. Und das kann kaum ein ungelernter Angehöriger leisten.

Dirk:
Inger geht sehr offensiv mit ihrer Erkrankung um. Gibt es ein Rezept dafür?

Bettina:
Ich persönlich gehe ebenfalls offen damit um, weil ich meinen Beruf entsprechend gewählt habe. Jeder muss hier sein eigenes Konzept entwickeln. Ein Outing kann befreien, aber ein kompliziertes Umfeld auch noch komplizierter machen. Aus meiner Sicht macht es ein Outing oft leichter, aber es ist nicht immer der leichtere Weg!

Dirk:
Du arbeitest bei der PHG als „Erfahrene“. Wie genau sieht deine Arbeit aus?

Bettina:
Ich bin Genesungsbegleiterin als EX-IN’lerin. „EX-IN“ kommt vom englischen „Experienced Involvement“, was so viel heißt wie „Erfahrungswissen“. Meine Ausbildung dauerte ein Jahr. Dort wurde mir gezeigt, wie man die eigenen Erfahrungen im Rahmen des Gesundheitssystems weitergeben kann (Stichwort Peer-Beratung). Ich bin eine Ergänzung zu den gängigen Therapieansätzen, kein Ersatz. Ich bespreche z.B. das psychotraumatische Erleben. Dabei sind für mich etwaige unberechenbare Reaktionen nichts Ungewöhnliches.

Dirk:
Wann ist der richtige Zeitpunkt EX-IN-Beratung zu suchen?

Bettina:
Das ist ganz unterschiedlich. Manche Genesungsbegleitung beginnt bereits in der Akutphase in der Klinik. Meistens startet die Begleitung in einer stabilen Phase während einer ambulanten Behandlung.

Nun wurden auch die Gäste ins Gespräch einbezogen und konnten Fragen stellen. Der Austausch war direkt sehr rege.

Gast:
Triggert einen die Arbeit nicht, obwohl man selbst Erfahrungen mit der Erkrankung gesammelt hat?

Bettina:
Ich finde meine Arbeit spannend und ich lerne immer wieder Neues dazu. Bis jetzt hat mich meine Arbeit nicht getriggert.

Gast:
Sind verletzende Äußerungen von Nicht-Betroffenen ein aktuelles Thema?

Bettina:
Ja, sie sind weiterhin Thema und deshalb ist Aufklärung dazu weiterhin sehr wichtig. Mein Leitspruch ist: „Niemand von uns Menschen ist unfehlbar!“ Aber man ist als Betroffene nie „nur“ Opfer, sondern auch Täter. Mit offenen Begegnungen wird der Umgang in jedem Fall einfacher!

Dirk: Siehst Du auch die Behandlung als einen der Schritte zu einer inklusiven Welt?

Bettina:
Dem stimme ich zu. Aber es muss noch viel passieren. Fachkräfte fehlen, sodass die Unterbesetzung zu weniger Beziehungsangeboten führt. Des Weiteren sind reizfreie Räume nötig, um selbst besser aus einer Psychose zu kommen. Reizfrei heißt in dem Zusammenhang: Kaum Personalwechsel, sodass man sich als Betroffene auf die Begleitung gut einstellen kann, oder auch die Minimierung anderer triggernder Reize. Ebenfalls finde ich das „Soteria“-Konzept (im Zentrum steht hier die „Milieutherapie“) sehr gut.

Gast:
Was mache ich als Angehörige, wenn jemand nicht wahrhaben möchte, krank zu sein? Wo gibt es helfende Tipps?

Bettina:
Das ist der Klassiker. Gerade in Hochphasen einer Psychose wollen Betroffene die Erkrankung verneinen. Da haben es Angehörige besonders schwer. Am besten geht man in klareren Phasen in den „Trialog“: Erkrankte Person, Angehörige und Therapeut. In Skandinavien ist es noch weiter gefasst und heißt „offener Dialog“, bei dem bspw. auch Nachbarn einbezogen werden. Ziel ist es, die Verantwortung auf viele Schultern zu verteilen.

Dirk:
Und wenn man als Angehörige nicht mehr weiterweiß, dann steht die PHG als Beratung bereit. Vielen Dank an alle Gäste und vor allem an Bettina Jahnke für ihre wertvollen Informationen.